10. April, 2011: Terrariums and Teramachines – a Poetics of Sustainability, mit Lars-Arvid Brischke und Donna Stonecipher (deutsch)


Landscape 1

(Jacob van Ruysdael, Zwinger, Dresden)

Six incidences of landscape arranged in two rows of three, arrangements of arrangements of nature haloed in velvet oval mats goldenly contained, the ovals suggestive of ponds possibly lurking among the luxuriously dark copses

Terrarium 1

Three container ships packed

with household garbage from France

depart Rotterdam at 12:13 p.m.

bound for India

Donna Stonecipher, „Landscapes and Terrariums“

***

Der Begriff der Nachhaltigkeit stellt die Frage nach einer besseren Lebensweise, nach einem besseren Verhältnis zwischen Mensch und Umwelt. Kein Thema für die Lyrik – oder gerade? Kann Lyrik einer solchen Problematik gerecht werden? Und dabei die eigenen ästhetischen Ansprüche erfüllen? Kann sich eine Sprache der Nachhaltigkeit jenseits des Plakativen, des Gutmenschlichen entwickeln? Gibt es gar eigenen, innovativen Poetiken der Nachhaltigkeit – und liegt in der Poetik ein Schlüssel zur nachhaltigen Lebensart? Welche Perspektiven gibt es dazu in der deutschen und in der amerikanischen Lyrikszene?

Über diese und andere Fragen diskutierten am 10. April 2011 bei Parlandopark zwei Vertreter der beiden Lyrikszenen (Lars-Arvid Brischke und Donna Stonecipher) und trugen ihre – gegenseitig übersetzten – Gedichte auf Deutsch und Englisch vor. Die Gedichte und Übersetzungen werden in der nächsten Ausgabe der Onlinezeitschrift “no man’s land” erscheinen.

Zum Auftakt der Diskussion bat ich Lars-Arvid Brischke als unser wissenschaftlicher Experte (Senior Scientist am Institut für Energie und Umweltforschung), den fast inflationär gebrauchten Begriff „Nachhaltigkeit“ näher zu definieren und mit seiner dichterischen Arbeit in Verbindung zu setzen. Er ging dabei von dem „4-Säulen-Modell“ der Nachhaltigkeit aus, das 1992 beim Klimakonferenz in Rio entwickelt wurde:

–          Nachhaltigkeit funktioniert nur auf dem Fundament der Ganzheitlichkeit / der ganzheitlichen Betrachtung (in der Lyrik: emotionaler und rationaler Zugang, Rhythmus, Klang, Spiel und Inhalt sind prinzipiell gleichberechtigte, wenn auch individuell unterschiedlich gewichtete Facetten) und in diesem Sinne müssen die vier strategischen Säulen / Ansätze der Nachhaltigkeit gleichermaßen verfolgt werden, bei denen sich jeweils auch Parallelen zur Lyrik ziehen lassen:

–          Effizienz (hohe Wirksamkeit) – in einem guten Gedicht ist kein Wort zuviel, es kommt insgesamt mit wenigen Worten aus (Lyrik als „kleine“ literarische Form), Klarheit durch Knappheit, aber auch Vieldeutigkeit durch Verdichtung (die Metapher als Mittel, wie dies in der Lyrik realisiert werden kann), Knappheit und Vieldeutigkeit erlauben die gedankliche und emotionale „Versenkung“, wodurch sowohl Dichter/in als auch Leser/in „zu sich“ oder „zur Welt“ kommen können. Das Gedicht kann auch Brücke zwischen Ich und Welt werden und zu einer ganzheitlichen Wahrnehmung des Ichs in der Welt beitragen. Lyrik ist Slowfood im Kontrast zu den Fastfood-Produkten der Teramaschine.

–          Suffizienz (Qualität statt Quantität, Klasse statt Masse) – sich im Gedicht auf das beschränken, was einem am wichtigsten erscheint, sei es hinsichtlich Inhalt / Aussage / Nachricht, Klang, Rhythmus, Konnotationen, Spiel, Erkenntnis.

–          Konsistenz (Umsetzung des Kreislaufprinzip bei der Ressourcennutzung, Substitution erschöpflicher durch nicht erschöpfliche Ressourcen) – Lyrik arbeitet beim „Recycling“ der Worte, das jede Sprachnutzung ja ist, gegen das „Downcycling“ an, d.h. die Abwertung, den Verschleiß von Worten, Wendungen etc. zu Phrasen, abgedroschenen Textbausteinen etc. durch „Upcycling“, d.h. Aufwertung durch Wiederbenutzung (in neuen oder ungewöhnlichen Konstellationen) – so kann man mit lyrischen Mitteln die banalsten Texte wieder zum Scheinen, Klingen oder Schwingen bringen.

–          Permanenz (Dauerhaftigkeit, Langlebigkeit) – eines der Grundmerkmale von Literatur überhaupt: nicht oder nur sehr langsam zu „veralten“, d.h. ein gutes Gedicht trotzt Moden und Strömungen, hat etwas Zeitloses im Sinne von: auch nach Jahren, Jahrzehnten etc. hat es für Menschen eine Aussage, berührt sie bzw. lässt sie nicht gleichgültig, liefert Erkenntnisse.“

Anschließend fragte ich nach der „Teramaschine“ – ein Bild, das Brischke in seinem Essay “Das Weltbewegende der Lyrik von Heute” entwickelte. Dort schrieb er:

[Die kapitalistische Welt] entwickelte sich … zu einer wunderbaren, schrecklichen Warenwelt mit einem Hang zum Überfluss, zu einem Fließband, das alle verband, und wurde später von Ivan Illich treffend als »Megamaschine« etikettiert. Aus der Mega- ist die Giga- und inzwischen die Teramaschine geworden … Die Teramaschine versucht, alle und alles zu vereinnahmen, ihrem Stoffwechsel einzuverleiben … denn sie ist ein Energie-Junkie, ihre Energieversorgung ist immer kurz vorm Zusammenbruch … Die Poesie ist an sich gegen diese Vereinnahmung resistent. Sie ist für die Teramaschine nicht verwertbar, hat keinen Nährwert, ist ungenießbar.

Die „Teramaschine“ (“tera”=hoch vier) steht, wie er bestätigte, sehr wohl als Bild für das unnachhaltige System. In dem Essay distanziert er sich allerdings auf provokanter Weise von der Vorstellung der „politischen Lyrik“:

Die Teramaschine versucht, alle und alles zu vereinnahmen, ihrem Stoffwechsel einzuverleiben und damit zur permanenten Migration zu verpflichten, denn sie ist ein Energie-Junkie, ihre Energieversorgung ist immer kurz vorm Zusammenbruch… Die Lyrik von heute verschwendet deshalb keinen Gedanken an den Stoffwechsel der Teramaschine…. Damit zeigt sie bereits unverblümt ihre Subjektivität, Souveränität und Subversivität. … Die oft aus dem deutschen Literaturbetrieb herausschallende Forderung, die Lyrik von heute müsse wieder politischer werden, entspringt dem Geist der Teramaschine, ist eine Variation ihres Einverleibungsprinzips…

Ich bat Brischke, auf diese Spannung einzugehen: wird hier die politische Lyrik als solches abgelehnt? Wie kann sich Lyrik engagieren, ohne sich vereinnahmen zu lassen, wie kann sie ihre Autonomie bewahren, ohne in die Falle des Eskapismus oder der “inneren Emigration” zu geraten? Er betonte, daß er nicht prinzipiell gegen politische Lyrik sei, vielmehr gehe es ihm um den Unterschied zwischen der (poetischen) Metapher und der (politischen) Losung. Es komme auf die Vieldeutigkeit an, die eine Metapher transportiert – ganz im Gegensatz zur vereinfachenden politischen Losung. (Die Frage wurde später in der Publikumsdiskussion aufgegriffen – die Lyrikerin Karen Margolis erinnerte an eine Zeit, als in London der William Blake’sche Aphorismus „The tigers of wrath are wiser than the horses of instruction” auf Häuserwänden gesprüht wurde und zur politischen Losung wurde. So kann eine geniale Gedichtzeile womöglich eine wirksame Losung werden, oder vielleicht hat jede geniale Losung die Tiefe der Dichtung, das wären aber die Ausnahmen, die die Regel bestätigen!)

Brischke fügte noch hinzu: „Wichtig ist mir auch die Bedeutung der Lyrik als ‚exterritoriales’ Gebiet / Parallelwelt zur Teramaschinenwelt und Modell einer ressourcenarmen, aber intensiven Art, Lebenszeit zu verbringen und damit aus der Teramaschine – zumindest punktuell oder zeitweilig auszusteigen, ohne gleich wieder in die Fänge anderer Konsumangebote der Teramaschine zu geraten.“

Schließlich fragte ich Brischke nach einer weiteren Passage des Essays:

Aus der Perspektive der Teramaschine, die keine Außenstehenden akzeptiert, ist Lyrik total daneben. Lyrik-Schreiber und –Leser… [verstehen sich] untereinander gut, fast schon cliquen- und sippenhaft gut, und deren Kreise für Teramaschinisten schwer zugänglich sind.

Aber Lyrik ist bekanntlich auch für nicht-Teramaschinisten schwer zugänglich! Brischke hat schon beschrieben, wie auch seine Institutskollegen am Schwierigkeiten haben, Lyrik zu verstehen oder ernst zu nehmen; so bleibt die Gegenwartslyrik selbst denjenigen verschlossen, die ihre „Anliegen“ teilen. Ob das ein Problem sei, und wie man damit umgehen soll?

Brischke erwiderte, seiner Meinung nach besitze jeder eine Anlage für Lyrik – die ja auch vor allem auf der emotionalen Ebene verstanden werden kann. Wäre nur diese Anlage an der Schule gefördert statt unterdrückt, würden mehr Menschen den Zugang zur Lyrik finden. (In der anschließenden Diskussion räumte er allerdings ein: ein negatives Aspekt der Teramaschine sei die, daß sie Spezialisten hervorbringt. Auch Dichter sind zu Spezialisten geworden bzw. machen sich zu Spezialisten. Dies sei tatsächlich ein Problem.)

Da wir nun die Teramaschine untersucht hatten, bat ich Donna Stonecipher um eine Erklärung des „Terrariums“ und seine Beziehung zur Landschaft in ihrem Gedichtzyklus “Landscapes and Terrariums”. Zunächst wies sie darauf hin, daß sie eine ganz bestimmte Art von Terrarium im Sinn hatte (siehe Foto), für die sie als Kind oft Werbung in Zeitschriften gesehen hatte. Dieses Terrarium sollte ein in sich geschlossenes, selbsterhaltendes System bilden – eine Vorstellung, die sie sowohl faszinierend als auch unheimlich fand. In ihrem Gedichtzyklus beinhalten die „Terrarien“ beklemmenderweise Müll: in einem Kreislauf von perverser Geschlossenheit wird Müll von der Ersten Welt in die Dritte Welt verfrachtet. Jedes „Terrarium” steht einer Landschaft gegenüber – keine natürliche Landschaft allerdings, sondern ein Landschaftsbild aus den großen europäischen Kunstsammlungen. Die Fetischisierung und Ästhetisierung der Landschaft, die im klassischen Landschaftsbild zutage tritt, sei laut Stonecipher zutiefst verbunden mit der Ausbeutung der Landschaft, die sich im ewigen Müllkreislauf der Zivilisation manifestiert. Die Landschaft als Genre sei gleichzeitig mit der Industrialisierung und dem Warenkapitalismus entstanden – so sei auch die Landschaft zur Ware, zum schönen Verbrauchs- und Verkaufsobjekt geworden.

Ich hatte Stonecipher eingeladen nicht zuletzt aufgrund der Landschaften, die ein vieldeutiges Leitmotiv ihre Arbeit bilden – „natürliche“ Landschaften, die von menschlichen Eingriffen zeugen oder sich als geistige oder kulturelle Konstrukte offenbaren, aber dennoch geheimnisvoll bleiben. Oft erscheinen ihre Gedichte als Versuch, das Individuum innerhalb dieser natürlichen/unnatürlichen Landschaft zu verorten; sie fragen, wie wir unsere Umwelt erfinden und vereinnahmen – für mich ein Grundthema der Nachhaltigkeit.

Stonecipher wies noch auf einen weiteren Zusammenhang zwischen Poesie und Nachhaltigkeit: Poesie pflegt die Vielfalt einer wichtigen Ressource – die Sprache. Als in Berlin lebende Amerikanerin interessiert sie auch vor allem die Vorstellung von Englisch als „biologische Invasion“, die inzwischen selbst die deutsche Lyrik durchdrungen hat. Lyrik – die laut Robert Frost genau das ist, was „in der Übersetzung verloren geht“ – betone die Dinglichkeit der Sprache, den Signifikant anstatt des Signifikats, und eigne sich deshalb hervorragend für die Bewahrung sowohl einzelner Wörter (Dichter sind für ihre Fetischisierung spezieller Vokabeln berüchtigt) als auch Denksysteme, bei denen die Sprache, die sie trägt, nicht auf eine übertragbare, aussersprachliche Bedeutung reduziert werden kann. Das Verschwinden der Sprachen überall auf der Welt geht mit dem Verschwinden von Pflanzen- und Tierarten einher; obwohl die Lyrik diese Tatsache nicht rückgängig machen kann, kann sie doch einen Ort des Widerstands bieten.

Schließlich bat ich Donna Stonecipher nach Beispielen für amerikanische Dichter, die mit Themen oder Begriffe der Nachhaltigkeit arbeiten. Sie erwähnte “erasure” (Radierung) arbeiten, eine eigene amerikanische Form/Technik, die von Dichtern wie Ronald Johnson und Stephen Ratcliffe vertreten wird. Diese tilgten Teile existierender Texte—Paradise Lost bzw. die Sonetten von Shakespeare – um ein eigenes Werk zu schaffen: ein vielleicht unbewußtes Beispiel des Prinzips “reduce, reuse, recycle”. „Erasure“ sei womöglich eine Reaktion auf die überwältigende Menge an „Kram“, die Amerikaner anhäufen – auf die Lawine von Material, die uns im Spätkapitalismus unter sich begräbt.

Ein anderes Beispiel sei der konzeptuelle Dichter Kenneth Goldsmith, der seine Leser ausdrücklich aufforderte, seine Bücher (die Transkriptionen von Wetterberichten oder einer ganzen Ausgabe der New York Times beinhalteten) nicht zu lesen. Die Poesie lag in dem Konzept an sich; auf das Werk selbst und das Buch als Gegenstand konnte verzichtet werden – die ultimative Reduzierung.

Die anschließende, lebhafte Publikumsdiskussion bewegte sich von den unterschiedlichen Nuancen des englischen Wortes “sustainability” und des deutschen Wortes “Nachhaltigkeit” bis hin zu der Nachhaltigkeit der Poesie an sich: das Problem der überschüssigen Lyrikproduktion und der schwindenden Leserschaft, oder die Tatsache, daß die Teramaschine, sprich, die britische Regierung neulich dazu überging, Poesieprojekte zu „Effizienzberichten“ zu nötigen…

Für mich zeigte die ganze Diskussion – sowohl mit den Dichtern als auch mit dem Publikum – die Ergiebigkeit des Nachhaltigkeitsbegriffs weit über seine wissenschaftlichen Anwendungen hinaus. Nachhaltigkeit ist keine Losung, sondern eine Metapher, die Vieldeutigkeit birgt.

Isabel Cole

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